Die Funktion der Jury: Wenige auszeichnen und alle wertschätzen
01.05.2019
Einblicke in Soziale Innovation
Das Prinzip der Preisvergabe erzwingt die Herstellung einer Art von Rangordnung, obwohl das weder durchgehend, noch in jeder Hinsicht unumstößlich exakt erreicht werden kann. In diesem Dilemma folgt die Jury einigen Regeln und Grundsätzen. Verfasst von Josef Hochgerner, Jurymitglied.
Jahr für Jahr reichen etwa 200 bis 300 Organisationen, Initiativgruppen oder Einzelpersonen ihre sozialen Innovationprojekte in der Hoffnung auf einen der 15 SozialMarie-Preise ein. Ebenso regelmäßig applaudieren die GutachterInnen in den Ländern und die Mitglieder der Jury den erfolgreichen InnovatorInnen. Das gilt ihrer Leistung, aber nur wenigen kann schließlich zur Verleihung eines Preises gratuliert werden. Das Prinzip der Preisvergabe erzwingt die Herstellung einer Art von Rangordnung, obwohl das weder durchgehend, noch in jeder Hinsicht unumstößlich exakt erreicht werden kann. In diesem Dilemma folgt die Jury einigen Regeln und Grundsätzen.
Ein erstes Prinzip besteht darin, dass drei Gruppen von Anträgen gewürdigt werden: Das sind zunächst die meist mehr als zehn Prozent der nominierten Projekte, weiters die zwölf gleich bewerteten 2000 Euro Preise, und schließlich die besondere Auszeichnung und Reihung der drei ersten Preise. Ein allgemeines die Jury leitendes Prinzip ist begründbare Gerechtigkeit. Dahinter steht folgende Überlegung: Wir wissen uns einig mit allen, die soziale Innovationen entwickeln und umsetzen, dass gezieltes soziales Handeln zu besseren Lebensbedingungen, weniger Ungleichheit und mehr sozialer Gerechtigkeit führen kann. Zu bewerten, wie weitgehend dieses Ziel im jeweiligen Einzelfall erreicht wurde, ist die herausforderndste Aufgabe im Auswahlprozess.
Aktuell geht es bei sozialen Innovationen nicht nur um die Weiterführung oder Verbesserung sozialer Wohlfahrt. Darüber hinaus müssen Rückschritte und zunehmende Lücken der sozialen Netze infolge politischer Richtungsänderungen und finanzieller Kürzungen in Sozial-, Gesundheits- und Bildungspolitik kompensiert werden. Neben ungelösten alten Problemen wie Armut, Ungleichheit und Ausgrenzung entstehen wegen Globalisierung und neoliberaler Wirtschaftspolitik neue Herausforderungen in Bezug auf Umwelt, Klima, Migration und ethnische Konflikte.
Die SozialMarie zeichnet laufend neue soziale Ideen aus, die erfolgreich verwirklicht wurden. Der Preis soll Bewusstseinsbildung, Ermutigung und öffentliche Würdigung fördern. Die unabdingbare Selektion zielt nicht auf die Abwertung eines Großteils der Projekte, sondern auf die Bewertung besonderer Merkmale von sozialen Innovationen. Dazu helfen die primären Kriterien Neuheit, Zielgruppenrelevanz, Wirksamkeit und Strahlkraft nach außen (das Potenzial für Ausweitung und Nachahmung). Danach bewertete Projekte sollen jene hervorheben, die stellvertretend für die Vielfalt sozialer Innovationen am besten als „Botschafter“ wirken können. Zusätzlich werden sekundäre Aspekte analysiert bzw. diskutiert, etwa welche Art von Problemlösung angestrebt wird: Ist die konkrete soziale Innovation auf einen unmittelbaren Bedarf einer konkreten Zielgruppe, auf die Bearbeitung eines allgemeineren gesellschaftlichen Problems, oder – selten – auf systemischen Wandel ausgerichtet? Eine große Rolle spielt nicht zuletzt der jeweilige sozio-ökonomische Kontext. Dabei wird der Entscheidungsprozess besonders durch Erkundungen vor Ort unterstützt.
Die Zusammensetzung der Jury repräsentiert diverse berufliche, soziale und kulturelle Kompetenzen aus allen Teilnahmeländern der SozialMarie. Anforderungen an die Beteiligten umfassen die Verbindung von Kritikfähigkeit mit Respekt vor Kritik, und ständige Lernbereitschaft. Obwohl alle sozialen InnovatorInnen zum besseren Verständnis und zur Entwicklung des sozialen Fortschritts beitragen, verlangt jeder einzelne Fall eine differenzierte Analyse des Potenzials und der faktischen Wirksamkeit des konkreten Projekts. Daraus ergeben sich steile „Lernkurven“ bei den GutachterInnen und JurorInnen. Neue Beobachtungen und Erkenntnisse sollen durch die Preisverleihung und die damit verbundene öffentliche Resonanz weiter vermittelt werden.
Fazit: Soziale Innovationen sind ein bedeutender Teil des sozialen Wandels. Ihr Gelingen und Fortbestand beruht auf Wechselwirkungen und Austausch zwischen allen AkteurInnen. Daher sind alle Einreichungen wertvoll und werden gewürdigt. In ihrer Gesamtheit zeigen sie durch ihre Leistungen und Erfolge jährlich ein jeweils aktuelles Bild vom Stand und der Dynamik der gesellschaftlichen Entwicklung.
Verfasst von Josef Hochgerner, Jurymitglied, erschienen in der SozialMarie Broschüre 2019